Steffen Meier / 09.07.2020
„Fragen gerne jederzeit im Chat“. „Falls Sie Probleme mit dem Ton haben können Sie auch die Telefoneinwahl nutzen“. Zwei Sätze, die das erste Corona-Halbjahr 2020 geprägt haben. Jedenfalls für mich persönlich. Und gleichzeitig symptomatisch waren für die Zwangsdigitalisierung in vielen Unternehmen. Auf einmal fiel das angeblich so kreative Bürokuscheln weg, an dessen Stelle traten digitale Meetings, E-Mail und das gute alte Telefon. Und viele lernten schlagartig die Vorteile von Wissen per Webinar kennen: bequem von zu Hause, in der Jogginghose und ohne mühsame Reiseorganisation. Dass der qualitativ fragwürdige Konferenzkaffee und der nichtssagende Pausen-Smalltalk fehlte – geschenkt.
Auch Anbieterseitig im Bereich von Webinaren und Digitalkonferenzen kam es schlagartig zu einem globalen Wettrüsten: Unternehmen, Verbände und vor allem Event-Veranstalter experimentierten mit den neuen digitalen Möglichkeiten, um den Kontakt zur eigenen Zielgruppe zu halten oder verlorene Umsätze zurückzugewinnen. Drei Punkte waren hier besonders auffällig, die sich auch schon in anderen Bereichen der Digitalisierung gezeigt haben:
Die Technologie ist nicht das Problem
Die anfängliche Diskussion und Aufregung drehte sich vor allem um den richtigen Anbieter sowohl für digitale Meetings als auch für Webinare. Etwas hysterisch wurde das Ganze leider schnell durch die doch sehr deutsche Diskussion um den Datenschutz bei einigen solcher Systeme. Nicht falsch verstehen: Datenschutz ist ein wichtiges Gut und muss ernst genommen werden. Aber dann bitte inhaltlich korrekt und nicht auf der Basis all der uninformierten Klickbaiting-Artikel, die rasch kursierten, aber Viele verunsicherten. Fakt ist, dass wir im Bereich der Meeting- und Webinar-Tools eigentlich schon lange auf der Ebene der „Mac-oder-PC“-Diskussion angekommen sind. Will heißen: die eigene Erfahrung, Vorliebe und Geldbeutelgröße entscheidet, die relevanten Systeme wie Zoom, MS Teams, GoToMeeting, Adobe Connect etcpp funktionieren alle in ähnlicher Weise und sind inzwischen weitgehend stabil verfügbar.
Digital muss günstig sein – warum eigentlich?
Gerade Medienunternehmen tragen seit vielen Jahren T-Shirts, auf denen in großen Buchstaben steht: „Im Internet lässt sich kein Geld verdienen“. Wer das Internet als Resterampe der ach so wertvollen gedruckten Produkte versteht muss sich aber nicht wundern. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich jetzt wieder bei digitalen Events und Webinaren: „Naja, da kann ich ja nicht so viel verlangen wie bei einer physischen Veranstaltung“. Ein Satz, den ich oft zu hören bekam und gerne mit „Eigentlich müsste man mehr verlangen“ erwidere. Gerade in kürzeren Webinaren Informationsdruckbetankung mit Interaktionsmöglichkeit (auch für Leute, die sich sonst nicht trauen, vor 200 Leuten die Hand zu heben und eine Frage zu stellen), keine Reisekosten, der eigene Kaffee zur Hand. Und trotzdem das Credo „Digital muss billig“? Eine fatale Fehleinschätzung, die Anbieter mit einem Monetarisierungsmodell hoffentlich nicht eines Tages bereuen werden.
Content und Kanal müssen passen
Wenn es um eine Methode zur Digitalisierung geht, gibt es anscheinend nur einen Weg (der definitiv zur dunklen Seite der Macht führt): man baue möglichst das Physische 1:1 nach. Mein persönlicher Liebling in diesem Kontext im Rahmen einer Diskussion um die Durchführung einer Digitalkonferenz: „Aber wie drücke ich den Teilnehmern dann meine Visitenkarte in die Hand?“. Ein völlig legitimes Ansinnen (Weitergabe von Kontaktdaten), aber der falsche Kanal (Visitenkarte). Digital funktioniert eben anders. Das können mitunter ganz banale Dinge sein: das Einblenden des Referenten/innen-Videos (der Erkenntnisgewinn ist zugegebenermaßen gering – aber Mensch sieht eben gern Mensch), Interaktionsmöglichkeiten wie Umfragen/Abfragen, in den Slides mehr optische Elemente und das Aufteilen von 5 Bulletpoints auf einer Folie (was in Präsenzveranstaltungen durchaus legitim ist) auf 5 Folien usw.
Und am Ende macht den Erfolg einer digitalen Veranstaltung schlicht der Inhalt, die Vortrags-Didaktik und die Vortragsweise aus. Punkt. Ausrufezeichen.
Was am Ende übrig bleibt
Es bleibt abzuwarten wie sich die Entwicklung fortsetzt sobald physische Veranstaltungen wieder in finanziell interessanten Größen zulässig sind. Ein „swing back“? Idealerweise würden wir in eine Phase treten, die in Gartner’s Hype Cycle „Plateau der Produktivität“ genannt wird. Wenn Technologieeinsatz Routine ist und man sich auf die Entwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen konzentriert. Wenn die jeweiligen Vorteile von physischen wie digitalen Events geschärft werden und nicht als Gegensatz und Entweder-Oder, sondern als sinnvolle Ergänzung funktionieren. Der Bedarf in einer Gesellschaft, die nur durch „lebenslanges Lernen“ vorankommt, ist jedenfalls da.