Ein Tandem von Ioanna Gogolin und Steffen Meier
Ioanna:
Vergangene Woche fand die „Immersive X“ statt, eine hybride Konferenz um Themen rund um die Frage wie Marken zum Erlebnis werden. Für mich war im Vorfeld das „hybride“ der Veranstaltung äußerst spannend, denn ich bekam nicht nur vorab eine so genannte Haptikbox mit diversen Utensilien zugeschickt, die im Rahmen des Konferenztages zum Tragen kommen sollten – sondern, und darauf habe ich mich besonders gefreut – eine Oculus Rift VR Brille.
Denn Teile der Konferenz wie Guided Tours oder Closing Note konnten die Teilnehmer in der Virtual Reality live digital erleben.
Was hältst du von diesem Konzept und wie erlebst du die VR Welt?
Steffen:
Grundsätzlich ist erst einmal jede Idee und jedes neue Konzept zu begrüßen, dass sich zum Ziel setzt, digitale Events und Konferenzen anzureichern und zu verbessern. Das muss nicht unbedingt VR sein und ich habe auch großen Respekt vor dem Organisationsaufwand dahinter – eine coole Aktion war das allemal. Letzten Endes müssen Veranstalter und Veranstalterinnen überlegen, wie interaktive Events sinnvoll umgesetzt werden können, um diese auch in der Nach-Pandemie-Zeit einzusetzen. Sonst haben wir nur einen Fallback zu physischen Events und niemand hat etwas aus der Zwangsdigitalisierung gelernt. Das fände ich mehr als schade.
Ioanna:
Ich für meinen Teil finde die Vermengung von real und virtual life interessant; denn absurderweise hat man bei der Aktion seines Avatars im virtuellen Raum tatsächlich ein deutliches aktivierenderes Gefühl als beim bloßen Stieren auf den Bildschirm.
Allein die Tatsache, dass man mit anderen Avataren parallel zum Geschehen auf der „Bühne“ kommunizieren, sich austauschen, gemeinsame Selfies machen oder an der virtuellen Bar einen Drink nehmen kann, lässt das Veranstaltungserleben sehr an Dynamik gewinnen.
Steffen:
Eins der derzeitigen Probleme ist ja der Verlust des Haptischen auf Events, das höre ich jedenfalls aus sehr vielen Gesprächen mit Veranstaltern/innen und Teilnehmer/innen heraus. Mensch scheint wohl auf Veranstaltungen den direkten Kontakt zu benötigen. Teilweise ist das in meinen Augen Video-Meeting-Müdigkeitsgetrieben, die Realität ist bei physischen Events dann doch eher langes Sitzen in dunklen Konferenzsälen und Smalltalk beim Kaffee in den Pausen. Aber wenn VR zu einer gewissen Simulation dieses Gemeinschaftsgefühls dient und die Akzeptanz digitaler Events fördert bin ich der Letzte, der sich dagegen ausspricht.
Ioanna:
Die Immersive X bot zwei Abende vor Veranstaltung ein digitales Get-Together in VR an, wo dem unerprobten Teilnehmer (wie mir) das technische Handling erklärt und Fragen beantwortet wurden. Die Leitungen des technischen Supports stand während des gesamten Eventtages offen, falls man erwartete oder unerwartete Schwierigkeiten mit VR oder Brille bekam. Das ist auch dringend nötig, denn der spielerische (und mit etwas Gewöhnung sehr kreative) Umgang damit nimmt vor allem für Ungeübte noch einiges an Zeit in Anspruch.
Die VR Welt fühlt sich an wie damals in den Nullerjahren Second-Life, bloß (noch) nicht so kommerzialisiert und: man kann darin herumlaufen, sich in andere Welten beamen, springen, rennen, trinken, sogar essen – rein virtuell natürlich.
Das hat etwas Spielerisches, einen unbefangenen Umgang mit virtuellen Welten und virtuellen Avataren/echten Personen. Und es fühlt sich definitiv an wie #Neuland, denn noch sind diese Welten eher für Gamer und sehr Technikaffine reserviert. Doch auch für ein breiteres Publikum wird die Relevanz von VR in Zukunft steigen, auch weil wir alle durch Corona viel gelernt haben in puncto HX (Home Experience).
Zwischenzeitlich musste ich immer wieder an den Film „Surrogates – Mein zweites Ich“ denken, in dem humanoide Roboter im Jahre 2054 die Aufgaben der Menschen in der Real Life ferngesteuert wahrnehmen und die Menschen sich ausschließlich nur noch in ihren eigenen vier Wänden aufhalten, während ihre „Surrogates“ in der Welt da draußen agieren.
Wie schätzt du die Akzeptanz und Relevanz von VR ein, sowohl hinsichtlich Events, aber auch ganz allgemein?
Steffen:
Eine Einschätzung fällt mir und vielen anderen da im Moment schwer. Zum einen ist VR aus Gartners berühmten „Hype Cycle“ verschwunden mit der Argumentation, die Technologie sei ausgereift. Schaut man auf die Märkte kann aber noch nicht wirklich von einer Durchdringung a la Smartphones oder Tablets gesprochen werden. Zwischen „Surrogates“ und der Realität ist noch eine sehr große Kluft. Was aber nicht heißt, dass diese Kluft nicht kleiner wird im Lauf der Zeit. Im Moment ist mit Blick auf Events der Einsatz von VR, vor allem wenn dieses eingebettet ist in ein gewissen Event-Storytelling, ein sinnvolles, wenn auch exotisches Mittel der Generierung von Interaktion.
Ioanna:
Wenn eine stärkere Durchdringung der Gesellschaft in Richtung VR erfolgt bei gleichzeitigem Aufbau von Technikkompetenz, halte ich die virtuellen Realität für eine nahezu „natürliche“ Verlängerung des eindimensionalen Real Life, jedoch mit allen positiven wie mittelfristig auch negativen Effekten. Als „hybrides“ Eventtool kann VR natürlich die echte, reale, analoge Teilnahme an Veranstaltungen nicht ersetzen; denn diese leben schließlich von den vielen Zwischentönen, den informellen Treffen an der Bar, dem Unerwarteten, dem Menschlichen, den Erinnerungen. Die wird VR nicht so schnell abbilden können. Oder?
Steffen:
Meine Gegenfrage wäre: warum muss VR dieses zwischenmenschliche eigentlich unbedingt abbilden? Der Grundfehler vieler Überlegungen liegt in meinen Augen daran, dass zwanghaft versucht wird, Physisches im Digitalen 1:1 nachzubilden und zu kopieren. Ich wäre eher dafür, die jeweiligen Vorteile der Medien und Kanäle auszubauen, etwa zeit- und ortsunabhängige digitale Events, VR als Interaktionsmittel – und wer unbedingt Gruppenkuscheln auf Events braucht soll sich dann auch (wenn wir das alle wieder dürfen) physisch treffen.
Ioanna:
Das kann ich nur unterstreichen. Der Fehler im Gedankenkonstrukt besteht gerade darin, dass es uns offenbar (noch) an der nötigen Phantasie fehlt, neue Formate für neue Technologien zu entwickeln – und eben nicht 1:1 das RL in die VR zu übersetzen. Denn da gibt es leider noch viel zu oft Belege, dass dies nicht funktioniert.
Die Immersive X jedenfalls war spannend, cool und mutig. Derlei hybride Events will ich in Zukunft gern viel öfter sehen.
Danke, Steffen, für das Tandem.